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Jüdisches Leben
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Beitrag vom 05.07.2004
Das jüdische Berlin - Teil 1
Denise Hoffmann
Berlin mal "jüdisch" erleben: In der Spandauer Vorstadt, dem heutigen Berlin-Mitte, sind viele jüdische Stätten (fast überall kostenlos) in einem ausgedehnten Spaziergang zu entdecken!
Ganz Berlin ist in Urlaubsstimmung. Doch warum in die Ferne schweifen?!
AVIVA-Berlin möchten Ihnen Ihre Stadt mal von einer anderen Seite zeigen:
Das jüdische Berlin.
Viele Orte kennen Sie bestimmt, doch auch die kleinen unbekannteren Schätze Berlins sind es wert, erwähnt und besucht zu werden.
Denn in der Hauptstadt gibt es weitaus mehr jüdisches Leben und jüdische Orte als nur das Jüdische Museum und das Holocaust-Mahnmal. Einen Ausschnitt dieser kulturellen Vielfalt möchten wir Ihnen hier präsentieren.
Die Alte Synagoge in der Heidereuther Gasse, die 1714 von der noch jungen Jüdischen Gemeinde zu Berlin in Gebrauch genommen wurde, wurde in der Reichspogromnacht 1938 verwüstet, und in den 1960ern schließlich abgerissen, obwohl ein Wiederaufbau durchführbar gewesen wäre. An Berlins erste Synagoge erinnert heute nur eine Gedenktafel, die hinter Bäumen und einer Garagenzufahrt allzu versteckt ist.
In unmittelbarer Nähe, auf einer Grünanlage vor der Rosenstraße, steht der "Block der Frauen". Ingeborg Hunziger entwarf das Kunstwerk, das an den Frauenprotest in der Rosenstraße erinnern soll, 1995 wurde es realisiert.
Zwei Litfasssäulen auf der Rosenstraße klären über die "Fabrikaktion" auf, bei der 7.000 Juden, die in "privilegierten Ehen", den sogenannten "Mischehen" lebten, Anfang 1943 verhaftet wurden. Die "arischen" Ehefrauen protestierten wochenlang für deren Entlassung.
In der Rosenthalerstraße 39 befindet sich das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt. Otto Weidt hatte in den 30er und 40er Jahren eine Besen- und Bürstenfabrik, in der Jüdinnen und Juden arbeiteten. Da sein Unternehmen als kriegswichtiger Betrieb eingestuft war, gelang es Otto Weidt Ende 1942 einige jüdische ArbeiterInnen, die in einem Sammellager interniert waren, zurückzuholen und versteckte sie. Die meisten davon wurden verraten und umgebracht. Otto Weidt konnte jedoch knapp 30 Menschen retten, darunter auch die Schriftstellerin und Journalistin Inge Deutschkron.
(Sonntags um 14 Uhr finden öffentliche Führungen durch die Ausstellung und die Spandauer Vorstadt statt. Preis: 3 Euro, zzgl. Eintritt)
www.blindes-vertrauen.de
Der älteste jüdische Friedhof der Jüdischen Gemeinde befand sich in der Großen Hamburger Straße. Heute ist er ein denkmalgeschützter Park, auf dem der Grabstein Moses Mendelssohns mit deutscher und rückseitig mit hebräischer Schrift steht.
Tafeln auf verschiedenen Sprachen informieren über den Friedhof, der 1943 durch die Gestapo entweiht wurde, um als Splittergraben und später als Massengrab für Bombenopfer zu dienen.
Einige Schritte weiter befand sich bis 1942 das Jüdische Altersheim in der Großen Hamburger Straße 29. Heute "erinnert" eine Plastik etwas zweifelhaft daran: Dieses Kunstwerk entstammt aus einem nicht realisierten Entwurf von Will Lammert, der dem Frauen-KZ Ravensbrück zugedacht war.
Es besteht also keinerlei Zusammenhang zwischen der Skulpturengruppe aus Frauen und dem historischen Ort. Informationstafeln, die über diesen Missstand aufklären könnten, gibt es bis heute nicht!
Zwei Häuser weiter befindet sich seit über zehn Jahren die Jüdische Oberschule in der Großen Hamburger Straße 27. Ursprünglich als Knabenschule für jüdische und humanistische Bildung 1778 gegründet, wurde sie 1942 geschlossen und stand in der DDR lange leer.
Die Große Hamburger Straße mündet in den Koppenplatz, auf dem "Der verlassene Raum" steht: Ein Tisch, zwei Stühle, einer davon umgerissen, wie bei einer hastigen Flucht. In den Rand des bronzenen Parkettbodens sind Verse eines Gedichts von Nelly Sachs graviert.
Seit 1996 existiert diese Installation von Eva Butzmann und Karl Biedermann, die 1988 damit einen Wettbewerb zum 50. Gedenktag der Reichspogromnacht gewannen.
In der Tucholskystraße 40 befindet sich die Berliner Einheitsgemeinde "Adass Jisroel". Die Entwicklung und Reformierung der Jüdischen Gemeinde ging manchen Mitgliedern zu weit, sodass die Neo-Orthodoxie entstand. Diese jüdische Strömung versuchte Torahtreue mit Akkulturation an die deutsche Kultur zu verbinden.
"Adass Jisroel" wurde 1885 offiziell gegründet und anerkannt. Nachdem die Gemeinde 1939 aufgelöst wurde und Bomben im Krieg die Synagoge zerstörten, wurde "Adass Jisroel" 1989 neu gegründet und ein Jahr später eine neue Synagoge eröffnet.
In der Tucholskystraße 9 befindet sich heute das Leo-Baeck-Haus, in dem die Geschäftsstelle des Zentralrats der Juden in Deutschland und die Redaktion der Jüdischen Allgemeinen Zeitung sitzt.
Ab 1907 hatte die "Hochschule für die Wissenschaft des Judentums", gegründet 1872, hier ihren Sitz. Im Vorfeld waren drei Versuche, eine jüdische Fakultät an der Berliner Universität zu etablieren, gescheitert.
Leo Baeck, Direktor der Hochschule, unterrichtete seit 1919 Judaistik. Anfang der 30er Jahre wurde die weltweit erste Rabbinerin, Regina Jonas, ordiniert (Dies nur nebenbei: Die zweite Rabbinerin wurde erst 1972 im amerikanischen Cincinatti eingesegnet).
Das Schicksal der "Hochschule für die Wissenschaft des Judentums" ist symptomatisch für Berlins wechselvolle Geschichte: Im Zuge des Berliner Antisemitismusstreites wurde sie in eine "Lehranstalt" umgetauft, in der Weimarer Republik wieder zur "Hochschule" gemacht, um dann im Dritten Reich abermals "Lehranstalt" zu werden: Endgültig geschlossen 1942.
In der Oranienburger Straße 28/30 befindet sich die Stiftung "Neue Synagoge Berlin - Centrum Judaicum". Durch den christlichen Baumeister Eduard Knoblauch erbaut, wurde die Neue Synagoge 1866 zu Rosch Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, eingeweiht. Die alte Synagoge in der Heidereuthergasse war für die rasant anwachsende Berliner Gemeinde zu klein geworden, das neue Gotteshaus konnte 3.200 (!) Gläubige aufnehmen.
Deutschlands größte Synagoge ist im maurischen Stil erbaut und erinnert an die Alhambra in Granada, sowie an die Budapester Synagoge, wobei man nicht weiß, ob Knoblauch letztere kannte.
Sogar für Treitschke, der durch den Berliner Antisemitismusstreit zu zweifelhaftem Ruhm gekommen war, war es das "schönste Gotteshaus".
Nachdem die seinerzeit äußerst moderne Synagoge die Reichspogromnacht 1938 unbeschadet überstanden hatte, fiel sie den Bomben im Krieg zum Opfer. Zahlreiche Kultgeräte wurden zudem zur Verstärkung von Betonwänden entweiht. Diese wurden bei der Sprengung des Synagogenhauptraumes Ende der 50er Jahre entdeckt und werden heute ausgestellt.
Heute besteht der gesamt Komplex aus drei Teilen: Aus Altem, Neuem und der Ruine. Dies ist beabsichtigt: Das Alte, die Außenfassade und -mauern, soll die Größe und Wichtigkeit des Gotteshauses für die damalige Reform-Gemeinde repräsentieren. Das Neue, eine Stahl-Glaskonstruktion, soll für heutige und nachkommende Generationen Mahnung sein, dass man das, was verloren ist - damit ist nicht nur die Architektonik, sondern auch der ideelle und natürlich der physische Verlust gemeint - nicht wieder aufbau- und ersetzbar ist, sondern für immer verloren bleibt. Die Ruine soll die Zerstörung, den Terror und die Lücke sowohl in der Jüdischen Gemeinde als auch in der Stadt Berlin darstellen.
Es werden Führungen zur ständigen und zu Dauerstellungen angeboten.
www.cijudaicum.de
In der Oranienburgerstraße 26 (Eingang Krausnickstraße) hat der Jüdische Kulturverein Berlin e.V seinen Sitz. Gegründet nach der Wende, verwurzelt jedoch in der von Kindern Überlebender und Exilierter initiierten Gruppe "wir für uns" aus den 80er Jahre in der DDR. Verschiedene kulturelle Veranstaltungen, wie Lesungen, Musikprogramme und Vortragsreihen, vereinen weltliches mit traditionellem Judentum. Hier wird Kabbalat Schabbat gefeiert, interkulturelle und interreligiöse Veranstaltungen stehen jedem offen.
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